Liebe Schwestern und Brüder im Advent, es ist, so sagen es viele, wohl eine komische Zeit, in der wir leben. Mehr denn je wissen Menschen nicht, wie es weitergeht, auch wenn sie es, wenn wir ehrlich sind, nie wirklich wissen konnten. Wir sind auf Hoffnung gestellt, Zukunft bleibt immer ein Projekt von Gott und Mensch, sie muss noch werden.
Vielleicht ist Advent da so etwas wie ein Kipp-Punkt ins Hellere, Kraftvollere. Wo trotz all der weltweiten und persönlichen Katastrophen die Situation in unserem Herzen kippen kann in Zuversicht und Glauben. Im Advent kommen wir immer vom Totensonntag her, dem letzten Sonntag des Kirchenjahres, und gehen mit dem 1. Advent ins neue Kirchenjahr, in eine neue Zeit.
Kipp-Punkte nennt man in der aktuellen Erfassung von Wirklichkeit ein Umschlagen in einen anderen Zustand, meist zu einer negativen Entwicklung. So einen Kipp-Punkt gibt es in der ökologischen Entwicklung der Erde, wo die Erderwärmung nicht mehr gestoppt werden kann und sich weiter fortsetzt.
In der aktuellen Pandemie haben wir gefühlt auch so einen Kipp-Punkt, wo trotz zunehmender Impfbereitschaft die Überfüllung der Intensivstationen nicht abgewendet werden kann. Sicherlich empfinden Menschen ein solches Umschlagen auch in persönlichen Schicksalsschlägen, oder im Älterwerden, wo es nicht mehr gelingt, in ein früheres aktives Gestalten zu kommen.
Umso wichtiger, überhaupt das Entscheidende im Leben, ist der Umschlag von der Perspektivlosigkeit in den Glauben, der einen trägt. Immer kommen wir aus der Nacht und gehen ins Licht des neuen Tages. Theologisch ist es der Übergang von Karfreitag zu Ostern, vom Kreuz zur Auferstehung. Dies ist das große Handeln Gottes für die Menschen, hier müssen wir mitgenommen werden, in jedem Alter, in jeder Situation.
Diese himmlische Bewegung in den Herzen der Menschen vollzieht sich ja immer erst einmal vorsichtig, auch skeptisch. Es ist wie das noch unsichere Flackern der ersten Kerze auf dem Adventskranz. Und es braucht dazu ganz viel an weiteren adventlichen Gaben, es gehören die Lieder dazu von „Macht hoch die Tür“ über „Es kommt ein Schiff geladen“ bis hin zu „Tochter Zion“. Und wohl auch Adventsgebäck oder Glühwein.
Sich durch den Advent von Gott wieder hochschaukeln lassen, den Kipp-Punkt nicht ins Dunkle fallen lassen, sondern zum Hellen verlassen, ins Licht treten und Vertrauen finden, so könnte man diesen Vorgang beschreiben. Denn wir leben letztendlich immer von diesen inneren Gaben des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, und wer will, kann den Frieden noch hinzufügen.
Dieses adventliche Gehen, ja von Gott mitgenommen werden, so sanft es auch geschieht, ist niemals ein Verleugnen der Probleme, es ist immer eine Stärkung im Umgang mit ihnen. Die Wirklichkeit hat sich durch den Advent nicht verändert, doch der Blick auf sie wird klarer, gefasster. Glaube erweitert den Horizont und schafft ein festeres Herz, um den Tag, die Aufgaben, das Weltgeschehen in den Blick zu nehmen, sich verantwortlich zu fühlen.
Es ist die himmlische Kraft, die mit dem Advent wieder in uns einziehen will, die uns nicht im Täglichen untergehen lässt, sondern Perspektive ermöglicht. Wo alles Tun auf der Welt relativ und fragmentarisch bleibt, kommt es eben auf den Unterschied an, sich trotzdem, ja gerade mit den geschenkten himmlischen Kräften einzusetzen, auf Zeit, mit begrenzten Mitteln, im Schlechten das weniger Schlechte zu suchen und mit einem inneren, ewigen Halt zu leben.
Das vollzieht sich in unseren Aufgaben, die uns gegeben sind, uns selbst gegenüber wie in dem Einsatz für die Familie, für Freunde, für Stadt und Land wie für unsere Kirchen, ja für diese Erde. Und sie braucht es doch mehr denn je auch in unseren beruflichen Aufgaben. Menschen hier freundlich gegenüberzutreten, auch wenn sie es selber nicht sind, seinen Dienst zuverlässig zu erfüllen, auch wenn die äußeren Strukturen schwieriger werden oder wegbrechen, das ist wichtig.
Ein Christenmensch geht immer ins Licht, so finster es auch um ihn sein mag, von diesem Urvertrauen leben wir wirklich, jeden Tag neu. Da hinein will uns der Advent ziehen, will uns hochschaukeln in eine neue Freude über das Leben, einer Dankbarkeit gegenüber Gott, zumindest in ein Vertrauen, dass er diese Welt und ihre Menschen trägt und Zukunft schenkt.
Der Advent ist die einzig funktionierende Bewegung, die das aktuelle mentale Runterziehen verhindert und Menschen wieder ins Gelingen, in eine frohe und von Hoffnung getragene Haltung hineinführt. Passen wir also auf die Kipp-Punkte auf, lassen wir uns lieber von Kerze zu Kerze ins Weihnachtsgeschehen hineinziehen, lassen wir den Heiland in unserem Herzen neu ankommen und nehmen alle, denen wir begegnen, in die Ankunft unseres Herrn mit hinein.
Amen.