Wer glaubt uns diese Geschichte? Tief in der Nacht träumte mir vor wenigen Tagen diese Frage. Wer glaubt mir denn dieses „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging…“? Der Einstieg in den Glauben, vielleicht Engelsworte, mir blieb nichts anderes übrig als aufzustehen in finstrer Nacht und ihn aufzuschreiben, am kommenden Tag wird der Gedanke weg sein und die Botschaft vom Himmel vergessen. Auch wenn es nur der abendliche Krimi war, Simenons „Maigret und sein Rivale“, den ich auf dem Nachttisch zu greifen bekam. Gott findet sich auch im Einfachen, der dicke Wälzer des Lukas-Kommentars war zu schwer, drohte nachts runterzufallen, ich wollte meine Frau nicht aufwecken. Dies Büchlein war leichter, hinter dem Klappentext des Krimis las ich dann am Morgen tatsächlich: Wer glaubt uns diese Geschichte?
Glaubhaft leben, ein Anspruch, ein gewaltiger Druck, der auf allen liegt, die hier unterwegs sind. Wir Menschen, getriebene seit Urzeiten, der Traum vom Himmel auf Erden, das Paradies suchend, mit guten Worten von Jahr zu Jahr. Mitten im Leben, in diesem ganz alltäglichen Wahnsinn, steht die Sehnsucht nach Liebe und Frieden. Glauben die Kinder dieses „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude…“, wo so vieles in der Familie nicht mehr da ist? Wo Erwachsene in Zweifel kommen und doch Geschenke besorgen? Die Furcht vor der Zukunft, in dieser grausamen Welt, wird sie aufgefangen, verwandelt in Freude? Das Kind in mir selber, meine Erinnerung an meine Mutter, an das Pfefferkuchenhaus zu Weihnachten, den Glanz des Tannenbaums. Bei anderen das erste Gehen, zur weihnachtlich verschneiten Kirche, an der Hand der Großmutter, das tiefe Gefühl eines Geborgenseins, kommt so die Ankunft des Heilandes?
Es ist unendlich schön, an Weihnachten in einer Kirche zu sitzen. Mit der zauberhaften Musik, dem erleuchteten Christbaum, und in der Mitte die Krippe. Maria und Josef waren unterwegs und sind angekommen. Das Kind ist geboren. In einem Stall. Ochs und Esel werden einfach dazugestellt, die Tiere, die Schöpfung Gottes. Engel lesen die guten Worte vom Himmel. Ein Fest der Liebe und des Friedens mitten in unsrer Welt. Und die Hirten sind da. Ich habe am letzten Wochenende im Kloster Loccum mit Freunden diskutiert über diese Geschichte. Sie sagten mir: Du musst bei den Hirten einsteigen, in ihnen finden wir uns wieder, sie sind die einzigen, die dem Engel glauben, dass Gott Mensch geworden ist. Habe dann noch einmal nachgelesen. Maria bewegt zwar alle diese Worte in ihrem Herzen, ein wunderschöner Satz, aber die Hirten sind es, die anderen davon erzählen. Sie danken Gott und bringen die Botschaft zu den Menschen.
Also doch die Erzieherin im Kindergarten, die einfach eine Stunde früher aufbricht, mit einer Stunde Fahrtzeit morgens um 6, weil der Frühdienst ausfiel, um die ersten Kinder in Empfang zu nehmen, zu hüten. Beim Adventsgrillen am letzten Montag redet mir die stellvertretende KiTa-Leitung, inzwischen eine ehemalige Konfirmandin, gut zu, öfter zu kommen, die Kinder kennen doch die ganzen Geschichten gar nicht mehr. Sie sagt das einfach so, mit einem engelhaften Lächeln, wer könnte hier widerstehen? Gute Hirten führen sanft, das Wort für die Führungskräfte, ich füge hinzu, gerne mit Charme, aber hartnäckig. Hirten sind wir alle, was sonst, sind Grenzgänger zwischen Tag und Nacht, Natur und Kultur, Herz und Hirn. Erst so, wettergegerbt, hartgesotten, mit weichem Herzen, hören wir den Engel, tragen das Licht des Friedens zu den Menschen, mit dem freundlichen Blick dieses kleinen Kindes.
Weihnachten liegst Du selber in der Krippe, nimmst göttliche Gestalt an, und dieser Christus tritt für Dich ein, Martin Luther predigt von diesem fröhlichen Wechsel. Bis in die Haltung hinein, mit seinen Geboten, mit diesem heilenden Blick in den Augen, mit dieser radikalen Hoffnung, niemals aufgebend. Damit stehen wir auf der Seite des Lebens gegen den Tod, auf der Seite der Schöpfung gegen alle Zerstörung, auf der Seite der Kinder und der Zukunft. Träumen wir diesen Traum des Lebens, lassen wir uns mitnehmen in diese Bewegung, die von dieser Geschichte ausgeht, von der Krippe und dem schon darin enthaltenen Kreuz, das es immer mit zu tragen gilt. Allen zum Trotz, von Augustus über Putin, vom Terror der Hamas und aller Kriegstreibenden, diesen bösen Rivalen des Lebens. Und in den Abschieden, Krankheiten, Katastrophen und Behinderungen, da steht dieses Jesuskind in uns auf, nimmt uns an die Hand, in und mit ihm ziehen wir in das Christfest und in ein neues Jahr hinein. Es ist kaum zu glauben und doch wahr werdend, „euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr“.
Davon singen die himmlischen Heerscharen, diese Engelwelt, die uns als Familie, als Gemeinde, als Gemeinschaft, als gutwillige Menschen auf der ganzen Erde abbildet. Es sind immer die einfachen Lieder der Welt, die Geschichten der Menschen hier und heute, in denen sich dieses Wunder der Christnacht ereignet. In ihnen wird Gott Mensch, sind wir unterwegs wie Maria und Josef, auf der Suche nach Unterkunft, nach Annahme, Wärme und Geborgenheit. In jeder Phase des Lebens sind wir beauftragt, in der Familie, der Kirche, der Schöpfung, der Welt, hüten, passen auf, sind da, setzen uns ein, versuchen auf der richtigen Seite zu stehen, gegen Antisemitismus, gegen rechte Tendenzen. Und auf der Seite der Evakuierten, von den Wassermassen Umzingelten, die vielen Rettungskräfte in diesen sintflutartigen Tagen. Hirtinnen und Hirten, sie kommen wie Engel mit ihrem göttlichen Wort, reden gut zu, packen an, mit Worten und Taten, wie in den vielen Krippenspielen zu diesem Fest, von dieser Geschichte, geleitet von Melodien und Träumen, auch in schweren Zeiten, gerade da nehmen sie uns mit auf den Weg der Liebe und des Friedens.
Und es tut gut, beruhigt, all diese Ereignisse im Herzen zu bewegen wie Maria, mit Maß und Mitte und Besinnung, in den Tagen zwischen den Jahren. Doch noch mehr trägt der Heiland die Herzen und Sinne und alle Kräfte der Menschen hinaus zu denen, die um uns sind, die uns hören und sehen. Trauen wir dieser Geschichte! Erzählen wir ihnen von der frohen Botschaft mit unseren Worten und Geschichten, als Hirtinnen und Hirten dieser Erde. Es wird spannend zu erfahren, wer uns diese Geschichte glaubt, wem wir begegnen, wer mitkommt in die Zukunft Christi. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“.
(fast identisch veröffentlicht unter „Christnacht“ in den Göttinger Predigten im Internet der Universität Zürich)